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Straßensozialarbeit findet statt, wo viele wegschauen

10.06.2022

Prenzlau (spz). Städtischer Angestellter ist er erst seit Kurzem. Als Streetworker kennt man Holger Schubert in Prenzlau jedoch schon lange. Exakt seit dem Jahr 2000. Mehr als 22 Jahren war er beim Evangelischen Kirchenkreis beschäftigt. Einen Zuschuss gaben die Stadt und der Landkreis. In dem Wissen, wie wichtig Schuberts Arbeit als Streetworker ist. Seit Juni nun ist die Stelle bei der Stadt angesiedelt und wird vom Landkreis bezuschusst. An Schuberts Aufgaben hat sich nichts geändert. Auch hier macht er Straßensozialarbeit. Die ist heute nicht weniger wichtig als in den 1990er Jahren, als dieser Zweig der Sozialpädagogik boomte. „Straßensozialarbeit ist das niedrigschwelligste Angebot, das es in der Jugendhilfe gibt. Hier wird kein Antrag gestellt. Wer Hilfe sucht, muss sich an kein Amt wenden. Die Hilfe gibt es auf der Straße. Dort, wo sich die Jugendlichen aufhalten.“ Das ist Vertrauensarbeit. Für die braucht man Geduld. Holger Schubert hat sie. Er fällt nicht mit der Tür ins Haus. Der Kontakt zu den Jugendlichen beginnt oft mit nur wenigen Worten. Einem Gruß, einer Bemerkung. Irgendwann merken sie: Er ist einer, der einfach da ist. Sie beginnen mit ihm zu reden. Wirklich zu reden. „Mir ist es wichtig, dass die Kontaktaufnahme Depotwirkung hat. Vielleicht passiert wochenlang nichts. Aber irgendwann gibt es den Moment des Erinnerns: Ach ja, da ist ja jemand, an den ich mich wenden kann.“ Und er setzt hinzu: „Meine Arbeit ist dort, wo viele wegschauen.“ Dieses Wegschauen ist vielerorts zu erleben. Zu wissen, dass da Menschen sind, die scheinbar aus dem System fallen oder in ihm keinen Platz haben, ist schwer aushaltbar oder wird gern mal schnell den Betroffenen als „Schuld in die Schuhe geschoben.“ Warum auch immer. Schubert setzt sich zu ihnen, hört hin und zu, bietet Hilfe an. Einige nehmen sie in Anspruch, andere kann auch er nicht erreichen. Das ist die Realität. Auch hier. „Einen von 20 wirklich zu erreichen, ist viel“, sagt er. Doch der eine habe Multiplikatorenwirkung. Er erzählt anderen von seinen Erfahrungen. Davon, dass da jemand ist, der Interesse hat. Holger Schubert hat keine Scheu, auf Menschen zuzugehen, in Gruppen hinein. „Es ist wichtig, Jugendlichen Möglichkeiten der Beteiligung zu geben“, weiß er aus Erfahrung. Gerade ist er mit dem Kinder- und Jugendbeauftragten Christoph Berkholz in den Wiederaufbau der Schutzhütte an der Uckerpromenade involviert. Gezielt haben die beiden Jugendliche angesprochen und eingeladen, bei dieser Aktion mitzumachen. Der Streetworker spricht von der „Freiheit des sich Kümmerns“. Es ist ein Angebot zum Mitmachen. Sein Alltag sind aber nicht Projekte wie dieses, sondern die aufsuchende Arbeit. Mit dem Auto, auf dem Fahrrad oder zu Fuß ist er unterwegs, hat täglich Kontakte. Sein „Wie geht’s?“ ist ernstgemeint. Ansprechpartner ist er jedoch nicht nur für die Jugendlichen, sondern oft auch für Eltern, die sich an ihn wenden. Gerade in den letzten zwei Jahren, unter Corona-Bedingungen, sei viel eskaliert. Er hat für alles ein offenes Ohr. „Liebeskummer zum Beispiel. Der ist vor allem dann, wenn man ihn zum ersten Mal erlebt, oft dramatisch. Dann braucht man jemand. Da ist die persönliche Ebene wichtig. Einfach dasitzen, zuhören, aushalten.“ Bei anderen Themen nimmt er auch schon mal – in Absprache mit den Betroffenen - Kontakt zum Jugendamt auf. Die Kooperation ist gut. Hier hat er kompetente Ansprechpartner. Lösungsansätze, die dann gemeinsam besprochen werden, setzen jedoch das Einvernehmen mit den jungen Menschen voraus. Sonst funktioniert es nicht. Viele Kontakte sind gewachsen. Er hält sie. Ist immer wieder da. Diese Verlässlichkeit ist wichtig. Oft wird er gerufen, wenn es zu Ausschreitungen kommt, an denen junge Menschen beteiligt sind. „Mein Arbeitsmittel ist die Beziehungsebene“, sagt er. Übersetzt bedeutet dies: Alles, was ausgehandelt wird, beruht auf Freiwilligkeit. „Ordnungsamt und Polizei können anordnen. Ich werbe um Verständnis, Vernunft, Einsicht.“ Das registrieren die Jugendlichen und finden es gut. „Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Dann heißt es nicht ‚müssen‘, sondern ‚können‘.“

Die mehr als zwei Jahrzehnte, die er als Streetworker unterwegs ist, haben ihn nicht abstumpfen lassen. Mittlerweile hat er es jedoch gelernt, selbst Grenzen zu ziehen. „Klar, es gibt auch mal Anrufe am Wochenende. Aber dann liegt es an mir, einzuschätzen, was dringend ist und was warten kann.“ In den letzten Jahren ist die Holzschnitzkunst zu seinem Hobby geworden. Einen solchen Ausgleich brauche er auch. Dabei bekomme er den Kopf wieder frei, tanke Kraft. Denn die braucht er in seinem Job definitiv. 

 

Ansprechpartner:

Frau A. Kehn
Amt für Bildung, Sport und Soziales
Amtsleiterin

Kategorie:

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