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Stolperstein erinnert an Ilse Sinasohn

01.07.2022

Prenzlau (spz). „Hier wohnte Ilse Sinasohn“ – so steht es auf dem Stolperstein, der seit Kurzem in der Straße des Friedens 26 als Erinnerungszeichen zwischen den Pflastersteinen liegt. Gleich daneben gibt es zwei weitere der kleinen Messingplatten. Darauf sind die Namen von Selma und Georg Sinasohn zu lesen. Zusammen mit ihren Eltern wurde Ilse Sinasohn am 9. Dezember 1942 mit dem „24. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Viel ist nicht bekannt über Ilse Sinasohn, die am 6. Juli 1921 in Prenzlau geboren wurde. Es gibt ein Foto von ihr als Mädchen in einem Kostüm. Neben ihr steht ein anderes, etwas kleineres Mädchen, darunter die Namen: Margot Loewenthal und Ilse Sinasohn. Dann ist da noch ein Familienbild. Es zeigt Ilse Sinasohn mit ihren Eltern Selma und Georg und dem kleinen Bruder Heinz Lothar. Vermutlich ist es das letzte gemeinsame Foto, bevor Heinz Lothar mit Hilfe des französisch-jüdischen Kinderhilfswerks OSE über Frankreich und Portugal in die USA und damit in Sicherheit gebracht wurde. Er reiste mit der SS Mouzinho von Lissabon aus nach New York und kam dort am 21. Juni 1941 an.

„Mein Vater hat mir erzählt, dass Ilse Krankenschwester werden wollte“, sagt Gideon Sinasohn. Viel mehr weiß auch er nicht über seine Tante, die er nie kennenlernte. Jetzt war er, gemeinsam mit seiner Frau Jeannette, das erste Mal in Prenzlau. In der Stadt, in der seine Großeltern gelebt hatten, der Vater und die Tante geboren wurden und von der aus sie zunächst nach Berlin und von dort weiter nach Auschwitz deportiert wurden. Es ist eine sehr emotionale Begegnung. Im April hatte Gideon Sinasohn eine Mail an den Bürgermeister geschickt und mitgeteilt, dass er im Juni nach Europa reisen und in Prenzlau Station machen würde. Er hatte davon erfahren, dass es in Prenzlau Stolpersteine gibt, die an seine Familie erinnern. Im Archiv begannen die Recherchen zur Familie Sinasohn. „Dabei stellten wir fest, dass zwar für die Eltern Stolpersteine verlegt wurden, es jedoch keinen für Ilse Sinasohn gab“, so Bürgermeister Hendrik Sommer. „Natürlich wollten wir das unbedingt nachholen. Und möglichst im Beisein von Gideon und Jeannette Sinasohn.“ Zwischen dem Antrag und der Genehmigung zur Verlegung liegen normalerweise viele Monate. „Es ist uns jedoch gelungen, dieses Verfahren zu beschleunigen. Und so hielten wir den Stolperstein, wenige Tage bevor die beiden ankamen, in den Händen.“ Es ist das erste Mal, dass Angehörige deportierter und später ermordeter jüdischer Mitbürger bei einer Stolpersteinverlegung dabei sind. Noch als die Sinasohns vom Bürgermeister in dessen Büro begrüßt werden, wissen sie nicht, dass sie wenig später in der Straße des Friedens etwa an der Stelle stehen würden, wo sich in der damaligen Königstraße 143 das Wohnhaus der Familie befand. Auf dem Weg dorthin führt Bürgermeister Sommer sie zum Platz an der Synagoge. Auf den Treppenstufen davor sitzen Schüler über ihre Hefte gebeugt. Sie wollen aufstehen, Platz machen. Gideon Sinasohn beschwichtigt sie. „Bleibt sitzen!“ Er macht Fotos.

Im Laufe der Gespräche wird deutlich: es sind Mosaiksteine, die aufwändig recherchiert, teilweise auch zufällig entdeckt, das Bild der Familie Sinasohn zusammensetzen. Einiges hat Gideon Sinasohn von seinem Vater erfahren, anderes von dessen Cousin Johann, der damals in Prenzlau auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte.  Sinasohn. Doch immer wieder fehlten Teile. „Lange wussten wir nicht, was mit den Eltern und der Schwester meines Vaters passiert ist. In einer Synagoge in Berlin las meine Frau zufällig den Namen von Georg Sinasohn, meinem Großvater, und so erfuhren wir, dass er in Auschwitz ermordet wurde.“ Einen weiteren Mosaikstein findet er in Prenzlau auf dem Jüdischen Friedhof am Süßen Grund. Mit den im Archiv vorhandenen Lageplänen in der Hand dauert es nicht lange, bis er den Grabstein seiner Urgroßmutter Friederike Sinasohn, geborene Rosener, findet. Sie wurde am 9. Dezember 1846 geboren. Auf den Tag genau 95 Jahre, bevor ihr Sohn mit Frau und Tochter deportiert wurde. Die kleine Ilse hatte sie noch kennengelernt, bevor sie 1924 verstarb. Gideon Sinasohn legt einen Stein auf den Grabstein. Und er findet die Namen noch weiterer Familienmitglieder. Später besuchen er und seine Frau die Erinnerungsstätte auf dem einstigen Jüdischen Friedhof im Stadtpark. Sie sind beeindruckt von den Zeichen der Erinnerung an die einstigen jüdischen Mitbürger. „Vielleicht hat mein Vater als kleiner Junge hier im Stadtpark gespielt“, denkt Gideon Sinasohn laut nach und fügt hinzu: „Bis jüdischen Menschen das und vieles andere nicht mehr erlaubt war.“ Sein Vater hatte Glück. Er wurde gerettet, wuchs in den USA auf, gründete eine Familie und diente 20 Jahre in der US-Armee. 1994 starb er und wurde auf dem Riverside National Cemetery, dem größten Militärfriedhof der Vereinigten Staaten, beigesetzt. Beim Abschied bedanken sich Gideon und Jeannette Sinasohn herzlich. Sie hatten nicht damit gerechnet, mit so offenen Armen empfangen zu werden. Man verspricht sich, im Kontakt zu bleiben und nach weiteren Mosaiksteinen zu suchen. Im Anschluss geht es weiter in Richtung Polen. Gideon Sinasohns Großmutter Selma stammt aus dem damaligen Schulitz in der Nähe des heutigen Poznań. Und dann wollen sie auch das erste Mal in ihrem Leben nach Auschwitz reisen. Sie wissen, dass dies eine der wohl schwersten Stationen ihrer Spurensuche ist, bevor sie wieder nach Georgia in den USA zurückkehren.

 

 

Ansprechpartner:

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Bürgermeister und Stabsstellen
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